Text zum Interview

Da staunen Jonas (9), Kenneth (10) und Mark (12) nur noch Bauklötze: Eine richtige Brücke aus losen Teilen - und sie hält! So bauten die alten Römer für die Ewigkeit. Das Modell ist aus dicken Holzstücken in nur wenigen Sekunden zusammen gesetzt worden. Anschließend können die drei Schüler locker über die kleine Brücke laufen und haben viel Spaß an der einfachen aber wirkungsvollen Physik! Zufrieden beobachten fünf Senioren im Hintergrund die Freude in den Augen der Kinder. Sie bilden die Kerngruppe der „Freizeit-Werkstatt“ im Mehrgenerationenhaus „Haus am Kö“ in Mettmann (NRW). Einer der rüstigen „Jungs“ - der gelernte Schreinermeister Helmut Krause (76) - ist im wohl verdienten Urlaub. Zusammen sind sie 446 Jahre alt. Jahrhunderte voller geballter Kreativität und Schaffensfreude!

„Unser Motto ist - Geht nicht, gibt´s nicht! Wo andere aufhören, fangen wir an und nehmen uns die Zeit. Wir finden immer handwerkliche Lösungen für beinahe jedes  Problem. Nur an Gasleitungen trauen wir uns nicht ran - das könnte schief gehen!“, erklärt Eckhard Wagner (68), gelernter Einzelhandelskaufmann und sehr geschickt im Umgang mit allen Werkzeugen, die sich in den prall gefüllten Werkräumen im Keller des Mehrgenerationenhauses stapeln. Vor zwölf Jahren entdeckte der weißbärtige Mann mit dem interessierten Lächeln die Liebe zum ehrenamtlichen Werkeln. Seitdem kann er nicht mehr von Hämmern und Bohrern im Dienste für Kindergärten, Schulen und Behinderteneinrichtungen lassen. „Mir ging es damals gesundheitlich nicht gut. Erst die Arbeit hier mit meinen Jungs, wie wir uns locker nennen, hat mich wieder fit gemacht und nach vorne gebracht! Ein Leben ohne die Freizeit-Werkstatt ist für mich heute undenkbar!“

In einer anderen Ecke hobelt Heinrich Friedrich William Schild, kurz genannt Heinrich, ein Stück Holz zurecht. Der 88jährige ist der Älteste der Truppe und wirkt mit seinem herzhaften Lachen fit wie ein Turnschuh. Ist es nun der zweite, dritte oder wievielte Frühling - der gebürtige Potsdamer Schild macht seit 13 Jahren gerne Späße mit den anderen: „Zu Hause fällt mir nach dem Tod meiner Frau die Decke auf den Kopf. Und immer nur drin sitzen und Fernsehen gucken macht viereckige Augen. Ich freue mich auf jeden Dienstag, wenn wir uns hier treffen.“ Es wird überhaupt viel gelacht und kreativ herum gesponnen, bestätigen die Handwerker-Senioren. „Wir kommen aus unterschiedlichen Berufen, ergänzen uns prima. Da sind schon unzählige Projekte bei heraus gekommen!“, so Heinrich Schild. Viel Nützliches. Zum Beispiel ungezählte Vogelhäuschen, die der gelernte Zimmermann Günter Kaiser (77) mit viel Liebe fürs Detail zusammen baut. Das hat ihm den Spitznamen „Vogel-Günter“ eingebracht. Interessiert schaut ihm dabei Jonas (7) über die Schulter. Der Junge ist ein Hortkind. Bleibt nach der Schule bis zum Nachmittag im Mehrgenerationenhaus. Nach Mittagessen und Hausaufgaben hat er eine neue spannende Sache im Keller entdeckt: Die Freizeit-Werkstatt und ihre Senioren! „Kannst Du mir das erklären?“, fragt der junge mit neugierigen Augen. Geduldig beschreibt Günter Kaiser jeden Arbeitsschritt vom Rohbau bis zum einzugsfertigen Vogelhaus. So hatte sich der Senior das im Ruhestand immer vorgestellt. „Ich bin jetzt zehn Jahre hier und es ist immer was los. Vorher habe ich für mich alleine im Keller gewerkelt - aber das war auf Dauer viel zu langweilig.“

Im Nachbarraum bearbeitet der 69jährige Schlosser im Un-Ruhestand Hans Gerd Worringen ein Stück Metall. Er sagt nicht viel, lächelt lieber vor sich hin und ist dafür bei den Projekten der Senioren-Handwerker aktiv dabei. Und diese füllen mittlerweile ganze Fotoalben mit Dankesschreiben von Kindergärten, Schulen und, und, und... „Unser Potential ist riesig, das können wir in diesen Alben sehen“, blättert Otto Herr (68) durch die bunten Bilder von Veranstaltungen und Exponaten der Gruppe. Der ehemalige Außendienstmitarbeiter hat bis zu seinem Ruhestand in der Industrie gearbeitet - und gar nichts mit dem Handwerk zu tun gehabt. Scherzhaft kommentiert er seine fehlenden handwerklichen Begabungen und seinen Willen, daran etwas zu ändern. „Zwei linke Hände habe ich nicht, aber ich mache mit umliegenden Arbeiten nützlich - und wenn es das ausfegen der Werkstatt ist. Dafür haben mich die Jungs hier geduldig aufgenommen - und völlig neue Talente aus mir heraus gekitzelt.“ Otto Herr zeigt Plakate mit der Aufschrift „Mal Dir Deine Ente!“ - eine Aktion für Kinder auf einem Öko-Bauernhof. „Ich sollte die Plakate dafür malen und es ist mir sehr gut gelungen. Die anderen haben 100 Enten aus Holz für Kinder gemacht, die diese dann aufwendig bemalen konnten. Für den Glanz in den Augen der Kleinen machen wir solche Aktionen immer wieder gerne.“ Die Schöpfungen der Methusalem-Handwerker sind vielfältig: Vom Schaukelpferd für eine erwachsene Behinderte, über ein richtiges Boot für eine Kindertagesstätte oder ein Nagelbrett mit echten 2300 Nägeln, die ein Fakir in seiner Kindervorstellung brauchte - alles haben sie selbst entworfen und umgesetzt. Besonders stolz zeigt Otto Herr drei verschiedene Bühnenbilder, die für eine Kinder-Laienspielgruppe im Mehrgenerationenhaus von der rüstigen Truppe gebaut wurde. An den Kulissen eines Schlosses, einer Burg und einer Windmühle - alle zusammen klappbar und bequem zu transportieren - haben die Herren wochenlang getüftelt. „Wir sind ein Kreis, der sich durch das Wissen seiner Gemeinschaft wieder schließt“, erklärt Eckhard Wagner das Geheimnis des Erfolgs der Freizeit-Werkstatt. Nun suchen die „Jungs“ weitere ehrenamtliche Verstärkung im „fortgeschrittenen“ Alter. Senioren, die auch Gutes mit ihren handwerklichen Fähigkeiten tun wollen. Die Bewerber sollten aber eine Voraussetzung unbedingt mitbringen: Keine jungen Hüpfer mehr sein!

 

Informationen gibt es über        info@freizeit-werkstatt-mettmann.de oder

                                                        Projektleiter Oliver Pahl unter 02104 - 980 466

 

Was ist ein Mehrgenerationenhaus?

 

Diese mittlerweile 500 Einrichtungen werden vom Bundesfamilienministerium in ganz Deutschland unterstützt. Sie sollen Raum bieten für Menschen verschiedener Altersgruppen - Jung und Alt zusammen bringen. Ungezwungene Begegnungen und gegenseitigen Austausch von verschiedenen Kompetenzen ermöglichen. Die Mettmanner Freizeit-Werkstatt ist ein gutes Beispiel, wie dieses Zusammenspiel gut funktionieren kann. Senioren bringen ihre handwerklichen Fähigkeiten für Kinder und junge Menschen ein - und lernen im direkten Kontakt die Bedürfnisse der heutigen Generationen kennen. Neue soziale Kontakte sollen dadurch entstehen, aber auch Entlastungen von Alleinerziehenden, Familien und pflegenden Angehörige. Mehrgenerationenhäuser bieten ebenso praktische Hilfe bei Fragen rund um die Pflege und Betreuung Demenzkranker. Flexible Formen der Kinderbetreuung helfen insbesondere Alleinerziehenden bei der Bewältigung der täglichen Herausforderungen. Die Einrichtungen sollen Stützen für alle sein, die sie benötigen. Immer im kreativen Zusammenwirken von jungen und alten Menschen. Mehrere Generationen eben.

 

Weitere Infos und Adressen in ganz Deutschland gibt es im Internet unter:

 

http://www.mehrgenerationenhaeuser.de

 

 

 

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